
Man sollte meinen: Mittlerweile hat man sich an die Stimme von LoSin gewöhnt. Immerhin hat er seit Mai letzten Jahres vier Singles bei Warner Music veröffentlicht und wurde von VEVO zu einem der spannendsten Newcomer für 2025 gekürt. Und dann haut sie einen doch wieder um, diese Stimme – voller Kraft und Gefühl, rau und leidenschaftlich. Kaum zu glauben, dass der Musiker aus Solingen erst 19 Jahre alt ist. Und das gilt nicht nur für seine Stimme. LoSin lässt emotional tief blicken, er hat „274 Fragen, davon 100 über dich, 100 über mich, die letzten 74 über nichts“, wie er in „Alles oder Nichts“ singt, einem Song seiner heute erscheinenden Debüt-EP. Auf alle diese Fragen wird er keine Antwort finden, das muss er auch nicht. Aber einige kleine und große Themen klären, das will er allemal. Über den Verlauf von 6 Songs nimmt er uns mit in einen langen Tag und eine lange Nacht. Neben den bereits veröffentlichten Singles „Brauch nur dich“ und „Fühl mich gut“ ist auch die neue Single „Kurz vor halb 4“ Teil des Tracklistings. Was ist eine Momentaufnahme? Es ist eine eingefangene Szene oder einen Augenblick, der stellvertretend für eine größere Geschichte oder Stimmung steht. Ein Bild, ein Gefühl, ein Klang, der einen bestimmten Moment für immer festhält. LoSins Debüt-EP „Momentaufnahme“ ist voll von solchen Momenten. Wie eine Serie zufällig geschossener Polaroids fängt die EP flüchtige Szenen eines Tages und einer Nacht ein: vom ersten Lichtstrahl bis zum letzten Echo der Dunkelheit. LoSin kommentiert: „‘Momentaufnahme‘ bezieht sich zeitlich gesehen auf einen langen Tag: Es beginnt mit ‚Fühl mich gut‘: Man wacht morgens auf, lebt sorgenfrei in den Tag hinein mit ein paar Sonnenstrahlen. ‚Brauch nur dich‘ liegt in der Abenddämmerung: Man denkt an die Zeit vor der Person zurück und stellt fest, dass man eigentlich nichts braucht außer dieser einen Person. ‚Kurz vor halb‘ 4 ist ein paar Stunden weiter in der Nacht, bildlich gesehen läuft man durch die Gassen, vermisst seine Geliebte, verspricht bei ihr zu bleiben, egal was passiert und lässt all seine Sorgen und Gefühle auf Papier, ‚Hellwach‘ spielt im Morgengrauen, nach einer langen Nacht, man schießt vermutlich nicht ganz nüchtern aus einer Bar und beginnt über die negativen Dinge des Lebens zu grübeln. ‚Alles und Nichts‘ und ‚Teil von meinem Leben‘ sind zeitlich wieder zu Hause im Bett, man denkt über alles nach, was vorher passiert ist und alles, was noch kommt, schläft irgendwann vor lauter Gedanken wieder ein.“ Jeder Song ist ein Stück Zeit, ein eingefrorenes Gefühl, das erzählt, was Worte oft nicht greifen können. In der neuen Single „Kurz vor halb 4“ fragt sich LoSin: „Was wär‘, hättest du mich nicht geküsst?“ Diese Begegnung fühlt sich schicksalhaft an, „nur ein Wort von dir / Würd alles riskieren / Will nicht, dass das endet“. Es ist der Wunsch, die Zeit anhalten zu können. Weil man nicht will, dass dieser Moment jemals vergeht. Weil man ahnt, dass jeder Zauber vergänglich ist – „es bleibt nicht, wie es ist“, wie es an anderer Stelle in „Alles und Nichts“ heißt. Zwischen emotionalen Höhenflügen und der Angst vor dem Aufprall irrt LoSin „durch die Welt so wie Kometen“ („Teil von meinem Leben“). Auch klanglich lebt die EP von Kontrasten – LoSins kongenialer Produzent Frederic Schax kreiert einen Sound zwischen nächtlichem Rave-Eskapismus und unruhig flackernden Großstadt-Leuchtreklamen, zwischen treibendem Drum & Bass und leicht windschief leiernden Dreampop-Klangflächen, die wie retro-futuristische Signale durch den luftleeren Raum treiben. Die Songs sind wie Zeitkapseln der „Momentaufnahme“, die sie konservieren – leicht verbeult, aber voller Geschichten. Mal zieht der Beat unwiderstehlich nach vorne, mal verliert sich alles in einem schimmernden Dunst aus Echo und Melancholie. „In der Brust, da pumpt ein tonnenschweres Herz / Ohne dich wär’ dieser ganze Scheiß nichts wert“ („Brauch nur dich“) – am Ende läuft es auf die ewig aktuelle Erkenntnis hinaus, dass ohne die Liebe alles keinen Sinn macht. Mit ihr manchmal auch nicht. Irgendwo dazwischen liegt das wahre Leben. LoSin fängt es in „Momentaufnahme“ so echt, nah und packend ein wie nur wenige Künstler seiner Zeit. Mit dieser Stimme, die einen immer wieder aufs Neue umhaut.