
Was Phil Siemers mit seiner Band und im letzten Jahr zum ersten Mal auch solo auf die Bühne stellt, gehört zum Hochwertigsten, was populäre, handgemachte Musik aus Deutschland zu bieten hat. Was er macht, atmet Groove und Lässigkeit; seine Stimme schmiegt sich butterweich zwischen Herz- und Magengegend und die Atmosphäre knistert förmlich vor Präsenz und Sinnlichkeit. Wer so gut ist wie er, könnte sich easy hinter Gitarre und Loopstation verstecken und die Lorbeeren kassieren – aber das reicht ihm nicht. Der 32-jährige Songwriter will weiterkommen: noch näher zu sich und gleichzeitig mehr aus sich heraus. Mit seinem dritten Album Was wenn doch klebt Phil Siemers 2025 die Rückspiegel ab, zieht alle Regler hoch und lässt los. Zum Beispiel die Messlatte, die fast von Anfang an auf Erwachsenenhöhe liegt – dokumentiert auf einem Foto, das Phil mit Sieben in seinem Kinderzimmer bei einer leidenschaftlichen Performance mit einer Holzlatte als Gitarre zeigt. Ganz bodenständig aufgewachsen im Hamburger Stadtteil Billstedt ist Phil in der Schule gerne der Klassenclown und quasi der „bunte Hund“ der Familie. Schon bevor er selbst es merkt, brodelt die Musik in ihm und bricht sich in ständigem Trommeln auf Schul- und Esstische Bahn, was nicht selten für Ärger sorgt. Erst als ihm in der 5. Klasse ein Musiklehrer erste Blues-Riffs auf der Gitarre zeigt, schlägt die Sache Funken: „Ich war immer vorne mit dabei, wenn es was auszuprobieren gab und hatte ordentlich Sendungsbewusstsein.“ Nach gefühlten drei Sekunden folgen Gesangs- und Gitarrenunterricht samt Lehrer, der ihn direkt im Vorprogramm seiner eigenen Shows spielen lässt. Mit 15 schreibt Phil erste eigene Songs und tritt regelmäßig bei von der Musikschule organisierten Konzerten auf. „Das waren richtige Clubshows mit Tickets und Einlass – die Zeit hat mich geprägt und vorangebracht, aber da war eben auch schon ein gewisser Ernst dabei.“ Musikalisch fliegt ihm viel zu – wie der erste Plattenvertrag mit Mitte 20 – aber backstage bleibt irgendwo auf dem Weg auch ein Hauch Leichtigkeit auf der Strecke. Zwei Alben in der grellen Manege des Musikzirkus – eins mit Label, eins im Alleingang – und die erschwerten Bedingungen der vergangenen Jahre haben es nicht leichter gemacht, Musik als Beruf verspielt anzugehen. Aber Siemers ist sich treu geblieben und jetzt an einem Punkt, an dem er sich von Kreativität und Erfahrung tragen lassen kann: Was wenn doch ist eine selbstbewusste, organische Platte, deren roter Faden Zuversicht und die vermeintlich unerreichbaren Träume sind. Der Motor sind zehn Songs, die dem Editierungswahn pure Romantik entgegensetzen. „Wir haben Was wenn doch ziemlich oldschool aufgenommen – weil wir daran glauben, dass man mit tollen, sensiblen Musiker*innen im Studio den einen ganz besonderen Take einfangen kann. Das ist dann wie nach Hause kommen. Deshalb haben wir die Songs live eingespielt und zusammen wach geküsst. Später kommen hier und da Overdubs dazu, aber alles ohne Autotune und KI. Für mich muss es nicht lupenrein sein – es muss sich richtig anfühlen. Dazu passt, dass das Album in 12 Tagen via Crowdfunding finanziert wurde. Es ist ein Geschenk, wenn Musik so unmittelbar entsteht und vor Release durch kaum eine externe Instanz muss.“ Genauso ungefiltert legt er seine Karten mit der ersten Single auf den Tisch: Titeltrack Was wenn doch bricht mit Mut und warm leuchtendem Chorus durch den Nebel – und mit Lyrics, die auf allen Newsportalen dieser Zeit stehen sollten: Was wenn doch – was, wenn es gut geht? Ich brauch nur ’ne Chance, auch wenn sie nicht gut steht. Von Tunnelblick kann allerdings keine Rede sein: In seinem musikalischen Bogen haben auch nachdenkliche Songs wie Mila & Juri Platz, das aus Kinderaugen auf Krieg und Zukunftsträume blickt und den Ton mit cinematischem Streicherintro setzt oder 100 Meter, dessen markant-rauer Gitarrensound ein traumatisches Erlebnis in eine Billstedter Parkmauer ritzt. Es ist auch seine bemerkenswerte Stilsicherheit, die Siemers diese Bandbreite ermöglicht. „Ich weiß, was ich will: nicht zu viel und nicht zu wenig – ausgeschlafene Songs. Und ich bin kein Freund von ‚Gesangsakrobatik‘ – Spannung und Präsenz finde ich wichtiger. Für mich ist singen Kommunikation – wenn man jemandem etwas erzählt, schreit man sein Gegenüber ja auch nicht an.“ Mit Freundeskreis-Zitat, schwerem Beat und ziemlich sexy schlendert uns Bring mich nach Hause entgegen, die dritte Single des Albums und ein Duett mit der Berliner Musikerin Lisa Marie Neumann (LOUKA). „Lisa singt einfach fantastisch und ich schätze sie als Songwriterin sehr – und letztes Jahr haben wir dann zusammen den Song geschrieben.“ Zeitgemäß, unaufgeregt und mit einer atemberaubenden Dosis Sinnlichkeit beleuchtet der Track das Thema Anziehungskraft sowohl aus weiblicher als auch männlicher Perspektive. In Schon heute geht es um eine ganz andere Art von Beziehung: Mit zärtlichen Pickings dreht sich der Song um eine Generation, die sich schwer tut, Gefühle auszudrücken und den Wunsch, Menschen, die einem etwas bedeuten, das auch zu zeigen – bevor es vielleicht zu spät ist. Das aufs Wesentliche destillierte Liebeslied Alles was ich brauch setzt Geborgenheit und Vertrauen mit Gospel-inspiriertem Piano und dicht gewebten Chören ein schlichtes, klares Denkmal – und bildet in nur knapp über drei Minuten den Gegenpol zu ständigem Hinterfragen. „Ich versuche in den neuen Songs ohne große Umwege auf den Punkt zu bringen, was ich sagen will und ich mag Songs, die man lieber zweimal hören will, als am Ende schon den Anfang vergessen zu haben.“ Ähnlich geerdet sind Phils Träume für das kommende Album. „Ich weiß nicht, ob eine Platte konkret etwas verändern kann, aber für mich beginnt mit Was wenn doch definitiv ein neues Kapitel. Ich wünsche mir natürlich, dass wir das neue Album vor möglichst vielen Leuten live spielen dürfen und dass die Menschen sich auf die Songs einlassen und vielleicht Kraft und Hoffnung daraus ziehen.“ – Und davon können wir in Zeiten von Krisen, Kommerz und Kalkül nun wirklich nicht genug haben: Musik, die uns mit Glaubwürdigkeit, echtem Können und jeder Menge Soul abholt und beim Take-off leise zuflüstert: Was wenn doch …