Tua
Tua
Tua hat Deutschrap revolutioniert. Dann wurde er als Teil von Die Orsons zu einem Popstar wider jede Wahrscheinlichkeit. Nun meldet sich der Rapper, Sänger und Produzent mit seinem bislang persönlichsten Album zurück. “TUA” reflektiert eine Biografie voller Brüche - und erzählt dabei eine Geschichte über das Leben selbst. Tua hat ein Album gemacht. Für seine zahlreichen Fans und Verehrer ist das eine große Nachricht. Seit Jahren warten sie auf dieses Stück Musik, das auf dem besten Weg war, ein deutsches „Detox“ zu werden, ein kleiner Mythos für die Ewigkeit. Tua aber hat sich alle Zeit gelassen, um das Statement zu formulieren, das er wirklich machen wollte. Er ist weit zurückgegangen in seiner Biografie, hat „tief gegraben“, wie er selbst sagt. Herausgekommen ist eine Platte, die mit allen Erwartungen bricht und ihnen gerade deshalb gerecht wird. Wer Tua folgen will, muss mit ihm mitkommen. In die Hochhaussiedlung, in der er aufgewachsen ist, als Sohn eines Ukrainers und einer Deutschen im schwäbischen Reutlingen, inmitten von Gastarbeiterkindern aus aller Welt und dieser seltsamen Mischung aus trotzigem Stolz und heimlichem Fernweh, die solchen Zwischen-Gegenden eben zu Eigen ist: „Hochhäuser an ‘nem Feld, Vorstadt / Dann noch mehr Dorf als Großstadt.” Genau dort setzt “TUA” an. “Vorstadt” ist das Intro und gleichzeitig der erste Street-Track des Albums. Es ist ein klassischer Hip-Hop-Moment, komplett mit Cameos regionaler Helden wie Afrob und Bausa - diss wo ich herkomm, Junge! Mehr noch aber ist “Vorstadt” eine Charakterstudie über Tua. Sie erzählt, wie aus dem Kind, das er war, der Mann wurde, der er dachte sein zu wollen, und schließlich der Mensch, der er heute ist. Wie er aus Angst vorübergehend selbst zum Schläger wurde. Wie das Widerspiel aus Wut und Weitsicht, Reflex und Reflexion noch heute in ihm rumort, nun da er Anfang 30 ist, respektierter Künstler, Vater zweier Kinder: „Ich leb’ hier nicht mehr, doch irgendwie immer noch.“ Der Gedanke spiegelt sich auch in der Musik. Der Song beginnt in der Kopfnick-Komfortzone der Hip-Hop-Neunziger, führt über den stilisierten Hochmut der Zweitausender und mündet zum Schluss in Tuas ureigenem Stil der Jetzt- Zeit: Ein voller, melancholischer, hoffnungsvoller Pop der Brüche. Tua hat ein Album gemacht. Tatsächlich ist das für alle eine große Nachricht. Statt einfach zwei Streaming-Schlager mit einer hinreichenden Menge egaler Füller zu verbundeln, wie das im Rap längst üblich ist, hat er ein ganzes Format neu belebt. “TUA” ist eine Konzept-Platte im besten Sinne: Ein gereifter Mann und Musiker tritt seinem Ich von gestern entgegen - und begegnet dabei seinem Ich von heute. Die zwölf Songs des Albums sind lose chronologisch geordnet. Sie beginnen in der Siedlung und enden in Gedanken an die Ewigkeit. Vor allem aber spiegeln sie die großen, wiederkehrenden Motive in Tuas Leben. Exzess und Eskapismus, die Sehnsucht nach dem Weiterkommen, das Verhältnis zur eigenen Künstlerpersönlichkeit, seine Rollen als Sohn und Vater, der giftige Geschmack von Hass, das Wissen um die Liebe. „Lieber fall’ ich tief, als niemals überhaupt da oben gewesen zu sein / Mittelfinger hoch und vorspulen, ich will keine andere Geschwindigkeit.“ Wo die Vorstadt endet, beginnt das richtige Leben. Mit dem zweiten Song des Albums, “FFWD” mit RAF Camora, kickstartet Tua sein Narrativ aufs Neue. Sehr konkret beschreibt er darauf Szenen jugendlicher Eskalation: Boxerei auf dem Rummel, high sein, ficken auf der Rückbank bei 200 km/h. Es ist pures Adrenalin, das sich im Rausch der Geschwindigkeit zu neuer, ungehörter Musik formt. Unter den Stimmen brodeln osteuropäische Einflüsse ebenso wie Ahnungen von Drum & Bass, Garage, Techno, dem trashigen Trance aus Tuas Jugend. Fast forward in die Vergangenheit, Dicka, zum Glück in die Zukunft. Die musikalischen Referenzen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album. Manchmal sind sie verhüllt von einem Schleier der Erinnerung, wie in der Post-Rave-Musik von Burial oder James Blake. Manchmal brettern sie frontal in die Fresse wie nachts um drei in einer billigen Großraum-Disse. Auch Tuas Stimme verändert sich ständig: In manchen Moment zerschwimmt sie in Effekten, wird zum Instrument seines Unterbewusstseins. Dann wieder ist sie glasklar, direkt, auf eine sehr schlichte Weise schön. Auch in dieser Hinsicht ist “TUA” konsequent post-alles. Die Haltung ist Hip-Hop, viele Elemente elektronisch, die Struktur Singer-Songwriter. Die Essenz der Stücke aber ist eine universelle Emotionalität, die über allem steht. „Alles bei mir ist irgendwie halb-halb“, hat Tua einmal gesagt. „Auf der einen Seite bin ich der Russe, auf der anderen Seite die Kartoffel. Ich bin kein Idiot, aber Abi habe ich nicht. Ich bin ein verkopfter Typ, aber gleichzeitig krass emotional.“ Dieses Halb-Halb gilt auch für seinen Status in der deutschen Hip-Hop-Szene. Gemeinsam mit Künstlern wie Marteria oder Casper öffnete und veränderte er vor zehn Jahren ein ganzes Genre: Aus einer Subkultur in der Sackgasse wurde der Pop unserer Zeit. Sein Debütalbum “Grau” ist ein Klassiker, vielfach zitiert von Größen wie Casper, Max Herre oder Samy Deluxe. Danach schrieb er Hits mit seiner Band Die Orsons, schaffte es bis auf Platz 2 der Charts. Gegen eine öffentliche Vereinnahmung aber hat er sich stets gewehrt. Tua ist ein Star mit Anti-Gen, ein Soundgrübler mit Inspirationen weit abseits des Mainstreams. Dennoch besitzt er die Gabe, Worte und Melodien zu finden, die zigtausende Menschen tief berühren. Auf “TUA” führt er diese beiden Seiten so selbstverständlich zusammen wie nie zuvor. Aus all den Halb-Halbs wird plötzlich ein Ganzes, das einen mit voller Wucht mitten ins Herz trifft. Tua ist kein Star, wie du und ich. In Zeiten der Insta-Anbiederung sticht er heraus durch sein Talent und seine Weigerung, Privates in Echtzeit auszubreiten oder dem Zeitgeist nach dem Mund zu singen. Es gibt kaum jemanden, der in seiner Kunst so offen Einblicke in sein Seelenleben gibt und dabei so ein Mysterium bleibt. Auch als Typ ist er schwer zu greifen: Ein Zwei-Meter-Kerl mit Boxerschnitt, schwarzem Hoodie und feinem Geist. Tua ist keine Identifikationsfigur, er will auch keine sein. Genau das macht seine Musik so mächtig: Sie bettelt nicht um Zustimmung, sondern nimmt einen einfach gefangen, so sehr, dass man nicht anders kann, als zu reflektieren. Tua erzählt seine Geschichte auf diesem Album - aber wer sich auf die Emotion zwischen den Zeilen einlässt, wird darin unweigerlich auch sich selbst finden. Ein perfektes Beispiel für diesen Ansatz ist die Radio-Single “Wem mach ich was vor”. Es ist ein sehr realer Song über das Trennen und Hinwegkommen. Von wem oder was er sich getrennt hat aber, lässt Tua offen. Weil es keine Rolle spielt. Weil jeder das Gefühl kennt, stark sein zu wollen und unter der Last des Vermissens zu zerbrechen. Weil wir alle Brüche in uns tragen und allzu oft übersehen, wie aus ihnen neue Schönheit entstehen kann. Es gibt diesen Moment auf “TUA”, ganz am Ende des Songs “Gloria”. Über sieben Minuten setzt sich Tua darin mit dem ewigen Streben nach Ruhm und Erfolg auseinander. Immer abstrakter werden seine Gedanken, immer abstrakter wird auch der Beat, bevor er irgendwann ganz ruhig, fast beiläufig sagt: „Ich will nicht hoch hinaus, ich will darüber weg.” In dem schlichten Satz steckt mehr als eine gute Punchline. Es steckt darin die Essenz eines Albums, vielleicht eines Lebens. In diesem Sinn ist “TUA” auch ein Verarbeiten: Die Reflektion der Erkenntnis, dass das Ankommen, von dem alle immer reden, vielleicht nie eintreten wird. „Ja, ich bin dankbar, dass ich Musik zu meinem Beruf machen konnte. Ja, ich habe eine Familie und liebe sie über alles. Aber hat sich dadurch mein ganzes Leben verändert? Bin ich deswegen vollends happy? Bin ich angekommen? Keine Ahnung!” Tua leidet seit einigen Jahren an Depressionen. Auch wenn sie nie explizit zur Sprache kommt, ist das Album doch eine Auseinandersetzung mit seiner Krankheit. Tua hat sich ihr ganz bewusst gestellt, sich nach und nach den Themen seines Lebens genähert, sie ohne Furcht und mit der ihm eigenen Sprache aufgearbeitet. Sie ist metaphorisch und nicht frei von Pathos, diese Sprache, aber auch von einer entwaffnenden, manchmal schmerzhaften Schlichtheit. Heraus sticht in dieser Hinsicht “Vater”. Als biografischer Schlüsselmoment und narrativer Wendepunkt bildet der Song eine Achse des Albums - auch wenn musikalisch kaum etwas darauf passiert. Tua beschreibt, wie sein Vater stirbt, präzise und nüchtern. Mit jeder Zeile verlieren seine Worte mehr an Schmuck, bis irgendwann nur noch die blanke Tatsache bleibt - ganz so wie auch der Tod erst groß und seltsam ruhmreich anmutet, und dann, wenn er passiert, nur noch beschissen banal ist, einfach das, was er halt ist: Ein Ende, das keiner revidieren kann. Tua hat die Verlusterfahrung schwer getroffen. Monatelang konnte er kaum arbeiten, unter Leute ging er nur widerwillig. Gleichzeitig hat er in der Auseinandersetzung mit der Endgültigkeit neue Kraft und neuen Mut gefunden. Den Mut, die Konflikte in seinem Kopf und die Brüche in seiner Vita zu akzeptieren. Den Mut, der Künstler zu sein, der er nun mal ist. Den Mut, dieses fordernde, wichtige, wunderschöne Album zu machen.
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