Lina
Lina
Niemand ist durchgehend glücklich – auch LINA nicht. Nachdem sie mit 15 einen Musikwettbewerb beim KIKA gewinnt und danach als Musikerin und preisgekrönte Kinoschauspielerin erfolgreich ist, schleichen sich Selbstzweifel in Begeisterung und Dankbarkeit. Lina Larissa Strahl alias LINA ist jetzt 25, hat die Arbeit an ihrem bereits vierten Album beendet und befindet sich auf der Reise zur erwachsenen Künstlerin. Sie ist unterwegs, irgendwo auf der Strecke zwischen zwei Stationen und hat sich entschieden, ihren inneren Monstern in die Augen zu sehen. Sie will alle Facetten ihrer Persönlichkeit zeigen und das Spotlight auch auf die düsteren Ecken richten. Einen Tag, einen Song nach dem anderen. Tage, an denen man sich seinen Ängsten stellt, scheinen länger – in diesem Fall ist der Tag genau zwölf Tracks lang. „Die Songs stehen für sich, aber wenn man rauszoomt, folgt das Tracklisting den 24 Stunden eines Tages, der morgens mit Lost Kids beginnt und nachts mit Freunde oder mehr endet. Der rote Faden ist die Sehnsucht nach Sicherheit, die man in sich selbst nicht findet und deswegen bei anderen sucht.“ Kein Wunder, dass die Entstehung von 24/1 kein Spaziergang war. „Früher habe ich versucht, Probleme zu überspielen, um eine Leichtigkeit auszustrahlen, die gar nicht mehr wirklich in mir wohnte. Wenn man älter wird, verändert sich die Sichtweise und man beginnt zu verstehen, dass die Batterie irgendwann leerläuft, wenn man sich nicht vernünftig um sich kümmert. Zwischen meinem dritten Album und jetzt musste ich viel lernen, es war ein Reality-Check. Während Viele in der Pandemie scheinbar extrem produktiv waren, baute sich in mir der Druck auf, ebenso kreativ sein zu müssen. Stattdessen übernahm mein Kopf das Ruder und ich fühlte mich wie gelähmt: Einerseits möchte man an seine Erfolge anknüpfen und sich andererseits entwickeln. Man möchte den Fans nah bleiben und gleichzeitig auch sich selbst; man will das vielleicht unvollständige Bild von sich erweitern, eigenständig Musik machen und dabei am liebsten alle mitnehmen.“ Mit dem Berliner Songwriter und Produzenten Benjamin Bistram sowie David Bonk und Julia Bergen, mit denen sie schon seit ihren Anfängen arbeitet, hat LINA sich ein Album erkämpft, dass dem Druck standhält. Geholfen hat eine Straightness und Klarheit in den Lyrics, vor der man den Hut ziehen muss: Schnörkellos, nur mit cleverer Wortwahl und entwaffnender Ehrlichkeit ausgestattet, versteckt sich hinter jedem Throwback Treibsand. „Julia, David und ich sind schon lange befreundet und verstehen uns blind, trotzdem waren die Themen, die mich auf 24/1 beschäftigen, auch für sie unerwartet. Ich will keine Haken mehr schlagen. Ich möchte auch dadurch Vorbild sein, dass ich ehrlich sage, wie es mir geht. Mir selbst hilft es auch, wenn ich Songs höre und das Gefühl habe, nicht allein zu sein. Wenn ich mich verstanden und aufgehoben fühle. In den sozialen Medien wird alles durch einen Filter geschickt, Musik ist für mich die Möglichkeit, ich selbst zu sein – oder mich zumindest auf die Suche danach zu machen.“ Der Trip auf unbekanntes Terrain begann mit den Releases Offenes Verdeck und Caprisonnen, beide reichlich geklickt auf ihrem YouTube-Kanal, der zielstrebig auf eine halbe Million Abonnenten zusteuert, und durchquert mit der kommenden Single Schön genug den langen Tunnel der Selbstzweifel: „Wer mich kennt, weiß, dass das schon immer ein prägendes Ding bei mir war. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Wo ist der Punkt, an dem man ‚Nein‘ sagt und zu sich steht? Ich möchte auf diesem Album alle Fragen stellen, in Sackgassen geraten dürfen und direkt, 1:1 wiedergeben, was in meinem Kopf vorgeht.“ "Mir fällt Schwermut so leicht und Leichtsein so schwer. Ich will mich nicht vergleichen, ich will einfach nur reichen." Getragen wird LINA von luftigem Pop, dem fragile Schlichtheit oft ausreicht, der manchmal vintage schimmert und nicht selten reduziert beginnt und mit ausgebreiteten Armen endet, auch am Rande des Abgrunds. 24/1 ist kein pflegeleichtes Album, kein glattgebügelter Anschluss an alte Headlines: Hinter leichtfüßigem Sound lauern beatgetränkte Fragen, die das Dunkel ausloten, das in jeder Zeile wartet. Die Tracks rasen durch Flashbacks einer Jugend aus „Bluetooth-Box und Handyschrott, Leben schmeckt wie Centershock“ (Lost Kids), Zeiten, in denen sie sich fragt, „Bei mir ist so vieles anders, wo soll ich da anfang’“ (Kakao) und der Befürchtung, „Ich werde alles verlieren und daran schuld sein“ (Lina, was ist los mit dir). Die junge Musikerin findet sich an der Klippe wieder mit den Worten „Ich lieg da, wo das X ist – mein Herz leuchtet, wenn’s bricht wie ein Knicklicht“ und zieht gerade noch die Notbremse, denn kurz danach „Sitzen beide auf dem Stromkasten – mein Herz testet Atomwaffen“ (Nüchtern). „All diese Momente haben für mich aber auch etwas Beruhigendes, weil sie alles in sich bergen: Schmerz, Unsicherheit und Angst, aber auch eine Welt voller Möglichkeiten, die man nicht in Worte fassen kann.“ 24/1 ist also deep, aber nicht nur dark: LINA liebt Songs wie 25/7, der sich schlicht eine Stunde mehr wünscht, um das Glück auszukosten und es mit dem Rest der Welt aufzunehmen oder Blackbox, in dem wild gefeiert wird und Geheimnisse passieren, die im Filmriss am besten aufgehoben sind. Und Leere Zimmer macht klar, wo der Weg für sie definitiv nicht hinführt: „Materielle Dinge füllen das Herz nicht. Kein schickes Auto, kein Job und kein Pool können Emotionen überschreiben. Bei all den To-do-Listen, denen wir hinterherrennen, vergessen wir, glücklich zu sein. Manchmal wäre ich gerne wieder acht Jahre alt und müsste keine Verantwortung tragen, aber diese Leichtigkeit kommt nie wieder. Man muss sich mit Selbstakzeptanz auseinandersetzen, Selbstliebe ist mir zu hoch gegriffen. Viele Fans sind mit mir älter geworden und ich bin wahrscheinlich nicht die Einzige, die manchmal nicht weiß, wer sie ist. Was mir Hoffnung gibt, sind kleine Momente. Wenn ich aus dem Fenster schaue, die Blätter sich verfärben und ich sehe, dass alles immer weitergeht. Ich denke dann: ‚Wenn sich da draußen alles verändern kann, kann ich es wohl auch. Wichtig ist rauszoomen, atmen und feststellen, dass die Liebsten noch da sind.“ 24/1 ist der Soundtrack einer Fahrt ins Ungewisse und ein mutiges Bekenntnis einer Künstlerin, die es sich auch viel leichter hätte machen können. Aber LINA will ihre Monster irgendwann im Rückspiegel sehen – und so klingt es eben, wenn man unterwegs ist und noch nicht genau weiß, wo man ankommt.
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www.facebook.com/lina.offiziell