Frau Pauli
Frau Pauli
Frau Pauli alias Susanne Pauli bespielt seit 2017 die Bühnen der Republik, die sie als Kind nur aus dem Westfernsehen kannte. Die Ende 30erin dichtet ihre ersten Lieder auf die Erzieherin im real existenten DDR-Kindergarten, bevor sie 2004 zum Studium nach Göttingen „rübermachte“. Nach fast 20 Jahren im Westen spricht sie fast akzentfreies Deutsch - wenn sie muss. Bisher veröffentlichte Frau Pauli 2 Alben „Ganz großes Tennis“ (2017 BMG) und „vorbei, vorbei“ (2020 BMG). Ihr drittes und bisher bestes Album erscheint am 16.6.2023 via unserallereins und heißt „Digitale Gefühle“. Digitale Gefühle … ist Post-Pandemie-Pop, der eingängig und leichtfüßig alle Fehlstarts der letzten drei Jahre Revue passieren lässt: alles, was wir in der Einsamkeit anfingen, teils aus Verzweiflung, teils aus dem großen Geist einer neuen Zeit. Wie genau sich Gefühle digitalisieren lassen kann nicht abschließend geklärt werden. Trotzdem steckt das Album der Göttingerin Frau Pauli voller Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass es unheimlich hart ist, das zu tun „was Jesus tut“. So hart, dass man lebenslang daran scheitern kann. Oder, dass es eben erst vorbei ist, wenn es mindestens zwei Mal vorbei, also „vorbei, vorbei“ ist. Das wahre Ende lässt sich unter anderem daran erkennen, wie es um die eigenen Gefühle steht, das lernen wir im Eingangsstück „Die Gefühle sind weg“: im Trap-Beat, mit motzigen Vocals und Fanfaren. Wenn die weg sind, kann man, laut Frau Pauli nicht wirklich viel dafür, ebenso wenig, wie wenn man nicht mehr kann. „Ich kann nicht mehr“ ist eine Hymne an die Vereinbarkeitslüge: Indie-Funk-Pop für Gescheiterte. Wer genug Dinge angefangen hat, darf auch irgendwann (guten Gewissens) aufgeben. Dabei bitte die Bläser und Backbeats nicht vergessen, damit es wenigstens Spaß macht. Scheitern darf unterhaltsam sein. So bezeichnet sich Frau Pauli auch brüsk als „Bester Verlierer der Stadt“, eine Art stiller Wettbewerb der Loser, vor, mitten und nach Krisen aller Art. „Allerletzte Geigen“ und „hinterletzte Orchester“ werden hier sowohl besungen als auch gespielt. Es bleibt die Erkenntnis nach allen Kontaktverboten, dass man eigentlich überhaupt niemand (mehr) braucht. Auch daran sind wahrscheinlich die anderen Schuld. In der Mini-Romanze „Pommes + Lachs“, dem kürzesten Stück der Platte, wird in 1:55 dem Lover erklärt, dass man ein Nein nicht reparieren kann und nein immer noch nein heißt. Eingängig, nicht nur freundlich, aber dafür tanzbar und am ehesten Deutschpop mit genre-typischem Gitarren-Lick, das nichts als Spaß bringt. „LUNVG“, kurz für „Lass uns nicht verloren gehen“ lädt dann doch noch zur Versöhnung ein und stellt die Frage aller Fragen ohne sie auszusprechen: Wo hat der Streit überhaupt angefangen? Die meisten Streits passieren immer noch im eigenen Haushalt, zumindest wenn man zu eng aufeinander hockt. Mit „Kalina“ schlägt Frau Pauli dann zum Ende der Platte noch kurz politische Haken und besingt vererbte Traumata und alles, was vom Krieg bleibt, Jahrzehnte nachdem der letzte Schuss gefallen ist. Ein Song, den sie 2014 zur Besetzung der Krim schrieb und der die Geschichten ihres Großvaters aus seiner Gefangenschaft in Kaliningrad verarbeitet. Das Finale bildet „Eine Traurigkeit“, die wohl dynamischste Nummer der Platte und ein poetisches Aufklärungslied über die verschiedenen Gesichter der Depression. Sind wir ihr nicht alle schon mal begegnet? Wir finden es in diesem Song raus und enttarnen eine der vielseitigsten Krankheiten. „Digitale Gefühle“ führt uns einmal durch den kompletten Garten der menschlichen Emotionen ohne dabei zu beschwerlich zu wirken. Vielleicht ist die Message, dass es sich lohnt, über die meisten Gefühle mit etwas Abstand zu schmunzeln, so wie über die Digitalisierung in Deutschland. Frau Pauli alias Susanne Pauli erlebte die Schrecken der Pandemie in der letzten Hälfte ihrer Dreißiger als alleinerziehende, nun arbeitslose Musikerin. „Digitale Gefühle“ ist ein Schnelldurchlauf durch das Herauswachsen aus der Zeit, wie sie vorher war: der Trennungsschmerz vom leichten Leben vor 2020, abgelöst vom Wachstumsschmerz hinein in neue Zeiten. Eine Art musikalisch vertonte Anpassungsstörung. Ähnlich wie sie Student:innen erleben, wenn sie aus dem häuslichen Nest geschmissen werden. Orientierungs- und Heimatlosigkeit, Sinnfragen und jede Menge Trotzreaktionen. Die Platte ist die pure Freude an Musik: liebevolle, detailreiche Arrangements, ein Tänzeln mit und um den Trash, sich für nichts mehr zu schade sein und das auskosten. Leichtfüßiger als ihre vorherigen Alben schenkt uns Frau Pauli alle Facetten, die sie finden konnte. Durchgehend sehr eingängig und fest entschlossen, dass es das noch nicht gewesen sein soll, ist dieses Album eine Absage an das Ende, ein Manifest des Scheiterns als schönste Sache der Welt.
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