Die Heiterkeit

Die Stadt niederbrennen, das Land verlassen, in den Untergrund gehen, viel mehr blieb eigentlich nicht übrig. Wie macht man weiter nach dem völlig plausiblen Größenwahn von „Pop & Tod I + II“, einer 20-Lieder-Grandezza, dem bis dato größten Wurf von Die Heiterkeit? Natürlich mit einem noch größeren Wurf. „Was Passiert Ist“ versammelt 11 Lieder über Einsamkeit, Desillusionierung und Orientierungslosigkeit – und begegnet diesen düsteren Themen mit solch strahlend heller Souveränität und gelassener Größe, wie sie im deutschen Pop noch nicht zu hören waren. Nie klang Die Heiterkeit leichter und popglänzender, nie waren ihre Lieder tröstender, eine warme Umarmung in bitterkalter Zeit. Und nie klang diese immer auch ein bisschen mysteriöse, kühl-coole Band nahbarer und persönlicher. Nimmermüde Vergleichsfrettchen können sich neben ihr doppelt und dreifach unterstrichenes, langsam schon reichlich angegilbtes „Nico“ eine neue Verweis-Vergleichsidee ins Vokabelheftchen malen: Der vierte Heiterkeit-Wurf, abermals produziert von Moses Schneider, ist ein zeitloses Glanzwerk, elegant und und ewig gültig wie „Pet Sounds“. Mühelos flaniert Stella Sommers Gesang darauf durch die ganz großen Verunsicherungsthemen, die viele Menschen so schwer aushalten, die von einem Popsong verlangen, doch bitteschön weniger kompliziert als das Leben zu sein, die Liebe mit Klammeraffigkeit verwechseln und Interesse am anderen mit Selbstaufgabe. Mit wenigen Worten malt sie Bilder, in denen man sich wiederfinden kann. Sie drückt flüchtige Szenen und Gefühle in zähe Goldmelancholie und flüssigen Bernstein, damit andere sie als Schmuckstücke betrachten können. Und zeigt sich auf diesem Album einmal mehr als eine der begabtesten Songwriterinnen des Landes – und als Ausnahmesängerin, deren Stimme – egal, was sie singt, auch für den ungläubigsten Heidenhörer sofort nach Gottesdienst klingt. Sie schrieb dieses Mal nicht nur die Texte, sondern arrangierte auch den Großteil des Albums alleine und spielte viele der Instrumente selbst – ihre Gitarre ist dabei, auch das ist eine ganz neue Heiterkeiterfahrung, nur einmal zu hören, dafür schwingen ganz weite, beruhigende Keyboardflächen und weiche Klavierschmeicheleien – und tatsächlich, wahrhaftig und ohne Witz eine Posaune, nämlich die von Jérôme Bugnon (Seeed). Moses Schneider selbst spielte Bass, Philipp Wulf Schlagzeug und Percussion. Wie ein selbstvergessener Wanderer entfernt sich der Sound in diesen atmenden, dynamischen Liedern immer weiter weg vom Anfang, spaziert über den Horizont, Richtung Himmel und Auflösung – erwähnten wir schon die Sache mit dem Gottesdienst? Zwei Arten von Songs gibt es auf „Was passiert ist“: Hits und Hymnen. „Ein alter Traum“ und „Das Wort“ sind dramaturgisch schlau gesetzte Aufwirbler. Die stolze Alleinsamsfanfare „Das Wort“ gibt dem weggeschwiegensten Gefühl unserer Zeit endlich eine erhabene, sprudelnde Hymne: „Man nennt es einsam / Das Wort dafür ist einsam!“ Seit 2010 ist Stella Sommer der Fixpunkt bei Die Heiterkeit, einer Band, die ihre Form wie ein Gestaltenwandler zu verändern weiß und so niemals stagniert. Jedes der bisher erschienenen drei Alben klang anders als sein Vorgänger, wurde anders gemacht – und völlig anders gedacht, mit Sommer als Gedankenumschlagsplatz. Spiegel Online krönte sie zur „Prinzessin Düsternis“, „Poptragödin“ nannte sie der österreichische „Standard“ und verglich sie mit Scott Walker, für ihr Soloalbum „13 Kinds of Happiness“ feierte sie die internationale Presse als dunkle, aber gnadenreiche Madonna, „a masterclass in gothic precision“ sei ihr gelungen, schrieb man in Großbritannien – „there’s hopeless beauty in abundance“ – und in Frankreich verneigte man sich vor der „Göttin aus Hamburg“ und kam zu dem Schluss: „Lou Reed aurait adoré“ – Lou Reed hätte es geliebt. Wie Solo-Sommer wieder zur Heiterkeits-Sommer wird? Durch Auflösung der ja eh arg faden Personengrenzen: „Dieses Mädchen bin ich / mit einem andern Gesicht“. Eine kleine Beunruhigung zum Schluss muss schließlich erlaubt sein, um den entrückten Hörer wieder sanft auf die Erde zu drücken. „Die Sterne am Himmel sind ausgelaufen“, singt Sommer in fast schon Nick-Cavescher Düsterprophetik zum Unheilklavier, „der Himmel ist jetzt ein Aschehaufen.“ Bei allem Trost, den diese Musik so überreich spendet, bleibt nämlich doch der Befund: Dass da eine Generation ist, die bei aller vermeintlichen Dauervernetzung, die einen doch angeblich täglich wie eine Roulade in ein soziales Netz wickelt, mit einem dauernden, diffusen Gefühl der Überforderung und Unsicherheit zu kämpfen hat. Stella Sommer gibt dieser verunsicherten Generation eine Stimme. Und zeigt ihr – das ist das große Kunststück dieser Platte –, dass sie mit diesem Gefühl der Einsamkeit nicht alleine ist.

 

 

 

 

 

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