Alli Neumann

Alli Neumann kommt mit einem musikalischen Blockbuster zurück –  mit sich selbst in der Hauptrolle. Und wie es sich für einen Blockbuster gehört, fühlt sich auf ihrem Album „PRIMETIME“ alles noch intensiver an als das Leben selbst. In direkter, emotionaler Sprache destilliert die Musikerin in 12 Songs, was sie beschäftigt, sie trägt, ihr Leben ausmacht. Und tatsächlich ist das Album, das, wie schon „Madonna Whore Komplex“, auch auf ihrem eigens  gegründeten Label   JAGA Recordings   erscheint, so zugewandt und lebensnah, dass es einem viel  Fläche für Identi fikation gibt. Primetime eben. Zwischen ihrem neuen Aufschlag und ihrem Debütalbum liegen nicht nur zwei Jahre und die wahr  gewordene Erzählung von der Zweite-Album Identitätskrise, also die Frage nach Neuer fi ndung  und Authentizität, sondern auch die Teilnahme an dem TV-Format   Sing meinen Song , die Allis  Blick weit geö ff net hat. Durch die Beschäftigung mit Texten und Musik anderer Künstler*innen und  dem so genannten Mainstream wurde ihr bewusst wie nie, wie tief internalisierte  Bewertungslogiken auch in ihr stecken, wie starr sie durch eigene Limits war, die sie aufgehalten  haben, ihre eigene künstlerische Vielschichtigkeit zu erkennen, zu der auch Pop gehört. „Ich hab  viel über mich als Künstlerin gelernt. Vorher hatte ich Dinge per se oft abgelehnt, weil ich dachte,  die funktionieren für mich nicht. Aber ich hab gemerkt, dass ich viel mehr tragen kann, als ich  dachte.” Die Musikerin, für die Rock, Blues, Punk das Nonplusultra war, die sich dem Alternativen  verschrieben und das „Leichte“ im Pop kritisch beäugte, hat entdeckt, dass sie auch ohne lyrisch,  metaphorische Pirouetten Alli sein kann, sich mit schlichten Textzeilen wie, „so wie du“ im  gleichnamigen Song, nackig machen kann. Mit klaren Worten spricht sie darin über Freundschaft  und textet, dass nichts wehtut, „Ich wünsch sogar meinen Feinden, jemand der sie liebt, so wie  du”. Auf „PRIMETIME“ sind viele der Songs in gewisser Weise Liebeslieder. So ist „lebenswerk“ ein berührender Text über ihre Mutter, der davon er zählt, wie sie ihre Heimat für Freiheit und Sicherheit der eigenen Kinder verlassen hat. Zu einem intimen Piano singt Alli darin,  „Du hast dich für mich vergessen und das hat’s mir leicht gemacht“, „meine Freiheit ist dein Lebenswerk, sie war dir dein Leben wert”. Auf „PRIMETIME“ beschreibt Alli Zustände, die tief gehen und weit reichen. Es ist das Bedingungslose in Beziehungen, das sie interessiert, das sie mit Dankbarkeit füllt. Übrigens auch  die zu sich selbst, wie der Song „ich liebe mich“ beschreibt. In ihm zeigt sich gut, wie Alli  zwischen Ernsthaftigkeit und gewisser Leichtfüßigkeit mäandert. Denn auch das kann man mit  ihren Songs: feiern und Spaß haben. Vielleicht kann das Leichte gerade weil sie diese sicheren  Bindungen hat auch nach oben dringen. Alli, so scheint es, sucht gerade nicht mehr, sondern  weiß von dem, was ihr guttut und das manifestiert sie in ihrer neuen Musik. Da ist Klarheit im Blick  auf die unmittelbaren Dinge im Leben, die ihr wichtig sind. Beim Schreiben hat sie diesmal viel an ihre Konzerte gedacht: „Ich freu mich so darauf, gemeinsam mit allen zu tanzen. Ausgelassen und befreiend zu ‚blue‘ oder vibey zu ‚jede nacht  zum mond’.“ An letzterem Song, in dem es um einen Entzug geht, haben Allis   Sing meinen Song -  Kolleg*innen mitgewirkt, als sie nach dem Dreh noch gemeinsam Zeit in Kapstadt verbrachten, Alli  den unfertigen Song der Gruppe zeigte und eine ganze eigene Dynamik entstand, bei der  besonders Clueso sich inspiriert fühlte und täglich Ideen präsentierte, von denen nun einige final im Track hörbar sind.  Mit dem Wagnis, anders zu klingen als beim letzten Album, musikalisch noch immer polyphon,  nur weniger ungerade Takte, weniger Blues, dafür mehr Indie-Rock, 80er Synthis, Neue Deutsche  Welle,  also vordergründig Popmusik zu machen, zeigt die Musikerin echte Progressivität, ihre Art  der Eigenwilligkeit. Vermeintlich. Denn eigentlich will sie gar nicht den lauten Aufschrei bedienen,  bloß weil sie als Frau Erwartungen bricht, sondern mit „PRIMETIME“ schlicht genau das Album  verö ffentlichen, nach dem ihr gerade war. Was danach kommt, wird man sehen.  Natürlich hat Alli noch lange nicht alle Ketten abgelegt, aber sich mit „PRIMETIME“ selbst zur  Schreiberin ihres eigenen (musikalischen) Lebens,   ihres   Blockbusters, gemacht, Grenzen neu  gesteckt, Erzähllinien umgedeutet, die auch ihre Selbstwahrnehmung prägen. Damit knüpft Alli  gewissermaßen an ihren 2021 erschienenen Song „Frei“ an, in dem sie ihren Wunsch nach  Freiheit proklamiert hat. Nun lebt sie sie. Sich bewusst der Primetime zu ö ff nen, für zugängige Sounds und klare Sprache, lässt Alli reifer wirken, trotz Pop, oder gerade wegen der Entscheidung dafür. Denn Allis Selbstverständnis davon, genau das zu tun, worauf sie Lust hat,  egal was die „cool kids“ sagen, wie sie im Song über die kritische Beäugung erzählt –   die sich oft  bloß an Hypes abarbeitet und an ihnen Coolness misst –  genau die Musik zu machen, die sie auf  Bühnen performen will, einfach so zu sein, wie sie will, überträgt sich beim Hören der Songs ganz  von allein. Damit passiert durch „PRIMETIME“, was Alli sich so wünscht: Alle werden zu ihren  eigenen Maincharactern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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