Sebastian Krämer

 

Sorgsam verpackter Schmerz - Woher Sebastian Krämer deine Tante kennt, ist eine gute Frage. Und wenn er sie kennt, warum er ihr dann ausgerechnet Liebeslieder widmet, vielleicht eine noch bessere. Du hast gar keine Tante? Oder sie ist vor kurzem verstorben? Nun, das würde immerhin die Verzweiflung erklären, die aus manchen dieser Stücke spricht, die Ratlosigkeit, die Melancholie. Oder den abstrusen Humor, den Krämer nicht zu planen scheint, der wie ein Schicksal über uns hereinbricht, wenn wir ihn schon nicht mehr für möglich gehalten hätten. Der Berliner Chansonnier griff im Laufe seines bald 30jährigen Schaffens außergewöhnlicher Lieder immer wieder gerne auf die Verwandtschaft zurück. Aber nicht nur zur Aufführung oder Aufnahme diente ihm Familienpersonal, auch inhaltlich bietet es genug Abgründe, in die er Figuren und Publikum stürzen lassen kann. Auf dem neuen Album besingt er nun auch die Schwester, die einzige Person, die einem, wie es im Lied „Mein Affe“ zu hören ist, zeigt, „wie es ist, wenn ein andrer dich aufrichtig haßt“. Sebastian Krämer kennt aber auch den Ausweg aus dem familiären Emotionsdrama, den Güterzug, der nie endet und jegliche Lebensbande zu trennen weiß. Für die verheißenen Liebeslieder spickt er den Himmel natürlich mit Geigen – genauer: Streichern in allen Formaten. Sowohl die „Sonnenunter-Gang“ unter der Leitung von Burkhard Götze, als auch das Quartett Bowhéme Berlin unterstützen über die Hälfte der Songs in liebevoll durchkomponierten Arrangements. Aufgenommen wurden Teile des Albums bereits im Januar während einer Reihe von Werkstattkonzerten in der Berliner Bar jeder Vernunft. Ihr Gesangsdebüt gibt Krämers Tochter Hedwig im Lied „Frau Zielinski und der Finsterling“. Endlich einmal wird hier die Lebensrealität der Heranwachsenden kindgerecht anhand einer klinisch depressiven Grundschullehrerin nachgezeichnet. Diese Chansons wollen nicht „Mut machen“, haben keine Parolen oder auch nur Empfehlungen zur Gestaltung einer besseren Welt zur Hand. Wir haben es hier nicht mit zielführender Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu tun. Wohl aber mit dem Versuch, den sorgsam verpackten Schmerz im Hörer aufzuspüren und freizusetzen, weil er zum wenigen gehört, das ihm inmitten seiner ganz persönlichen Zombie-Apokalypse noch die eigene Lebendigkeit anzeigt. Die bizarre Schönheit der Krämerschen Verse und Harmonien ist mit jenem Schmerz im Bunde. Und mit deiner Tante ...Sebastian Krämer wurde 1975 in Ostwestfalen geboren, wo er bereits als Schüler seine Bühnenkarriere startete. Heute lebt der Chansonnier in Berlin und ist laut stilbruch, dem Kulturmagazin des RBB Fernsehens, »der größte Kleinkünstler Deutschlands«. Krämer erhielt 2017 den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA. In der Laudatio outete sich Kurt Krömer als Fan: »keiner spickt seine Chansons so mit Morbidität, Charme und vor allem mit hinterfotzigem Humor Güteklasse A.« Außerdem verlieh man Krämer den Deutsch-Französischen Chansonpreis, 2012 den Deutschen Kabarettpreis und 2009 den Deutschen Kleinkunstpreis für Chanson. »Der krasseste lebende Songwriter, den es gibt, und... ein Genie!«, rief Comedian Oliver Polak einst in seiner Talkshow auf Pro7 aus. 2018 feierte Krämer sein 25jähriges Bühnenjubiläum.

 

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