Rainald Grebe
Rainald Grebe
Was macht Rainald Grebe? Die Frage ist falsch gestellt. Viel eher müsste man fragen: Was macht Rainald Grebe eigentlich nicht? Denn die Felder, auf denen sich Grebe in den vergangenen 20 Jahren einen Namen gemacht hat, sind zahlreich. Klar, es geht ihm immer um die Kunst und die Bühne und den Ausdruck. Das ist der gemeinsame Nenner. Aber was er dann zum Besten gibt, ist mit „multitalentiert“ noch unzureichend beschrieben. Grebe ist Kabarettist und Chansonnier, er ist Schauspieler und Regisseur, ein hellwacher Kommentator und ein leicht irrer Zauberer, der aus seinem Hut flauschige Kaninchen holt oder Zyankalikapseln. Er macht Lieder, er macht Witze, er macht Kunst. Mal steht er ganz alleine im Rampenlicht, mal holt er sich für ein Konzert 300 Beteiligte auf die Bühne. Heute sieht man ihn vor einem Millionenpublikum im Fernsehen, morgen in einem der renommiertesten Theater des Landes. So vielseitig und gleichzeitig so erfolgreich bespielt kaum ein anderer die deutschen Bühnen. Im Grunde, könnte man meinen, hat er doch schon alle Möglichkeiten durchgespielt, die sich ihm und seiner Kunst bieten. Doch Grebe sieht das anders. Eine Sache gibt es da noch, hinter der er für sich noch keinen Haken gemacht hat: Die große, weite, bunte Welt des Pop. Und da er ein Macher ist, der Ideen lieber in die Tat umsetzt, als ewig auf ihnen herumzuträumen, kann man hier verkünden: Rainald Grebe macht jetzt „Popmusik“. Das steht groß auf dem neuen Album drauf, und das ist so ernst gemeint, wie es bei ihm nur geht. Und tatsächlich, so hat Grebe noch nie geklungen: Modern, frisch, stellenweise fast tanzbar, mit Refrains und Hooklines, die einen mitnehmen und mitreißen. Das Klavier ließ er diesmal in der Ecke stehen. „Ich bin kein guter Pianist, da gibt es viele, die das besser können“, sagt Grebe. „Eigentlich spiele ich gar nicht richtig, ich nutze das Instrument nur als Begleitung. Ein paar Akkorde drücken, mehr ist es nicht.“ Und da Künstler schnell gelangweilt sind und am schnellsten von sich selbst, wollte er mal etwas ganz anderes machen. Grebe am Klavier? Das geht, das funktioniert. Aber das kennt er eben auch schon zur Genüge. „Jetzt wird es Zeit für einen neuen Weg.“ Wobei man nicht sagen kann, dass Grebe seit Jahren am selben Stiefel rumschustert. Denn auch in der Vergangenheit hat er sich musikalisch immer wieder neu ein- und ausgerichtet: Orchester, Rockband, Streichquartett, Bläser, Chöre – das alles hat er ausprobiert, mit Erfolg und mit Freude. Und nun geht es eben um Pop. Geholfen hat ihm dabei Martin Bechler, der in den vergangenen Jahren eine der ungewöhnlichsten Karrieren der deutschen Musikszene hingelegt hat. Jahrelang hielt sich Bechler im Hintergrund und arrangierte, komponierte und produzierte, bis er mit Mitte 40 dann doch noch das Rampenlicht suchte – und fand. Seine Band Fortuna Ehrenfeld vereint seit vier Jahren Pop und Poesie, große Momente und abseitige Ideen auf höchst originelle Weise und macht sich mit jedem Auftritt und jeder Platte haufenweise neue Freunde. Grebe und Bechler kennen sich seit fast 20 Jahren und haben schon mehrmals zusammengearbeitet. Bechler hat die Grebe-Werke „Brandenburg“, „Volksmusik“, „Global Fish“ und das „Robinson Crusoe Konzert“ produziert und von ihm viel darüber gelernt, wie wichtig Unbestechlichkeit für einen Künstler ist. Grebe wiederum schätzt an Bechler dessen Offenheit und künstlerische Klarheit. „Lass uns doch mal zusammen ein paar Songs machen!“ Diese Idee geisterte immer wieder zwischen den beiden und ihren vollen Terminkalendern herum und wurde im Sommer 2020 endlich in die Tat umgesetzt. Links der Wolf, rechts der See, oben der Storch: „Popmusik“ ist in der Uckermark entstanden, weit ab vom Schuss und vom Handynetz, dafür aber mit voller Konzentration. Grebe nennt es gar „Arbeitsrausch“: Vier Tage intensives Arbeiten, dann waren die Basictracks im Kasten. Schnell, unangestrengt, einfach mal machen und schauen, was dabei herauskommt: Eine Herangehensweise, die beiden Beteiligten liegt. Die Texte waren fertig, und auch über Melodien und Rhythmen hatte Grebe sich schon Gedanken gemacht. Mit diesen mal gröberen, mal feineren Skizzen ging dann Bechler an den Start und holte aus seinen Rechnern und Synthesizern raus, was diese zu bieten hatten: Beats, Sounds, Absonderliches. Und blieb dabei immer möglichst weit weg von dem, wie Grebe normalerweise klingt. Kein Klavier, aber auch keine Gitarre und nichts in Richtung Rock, die er mit der „Kapelle der Versöhnung“ schon mehrmals eingeschlagen hat. Stattdessen viele Grooves, Beats und Elektrosounds. „Popmusik“ besticht durch Spontaneität und eine Attitüde, die an das Punk-Credo des „Do It Yourself“ erinnert, vor allem aber an die herausragenden Vertreter der Neuen Deutschen Welle wie Rheingold oder Trio, als sich Spaß mit Dada und künstlerische Unverfrorenheit mit Naivität verband. Das ist kein Zufall, sondern führt direkt zu Grebes musikalischer Sozialisation Anfang der Achtziger: „Als Kind habe ich Schlager gehört, und direkt danach kam für mich die Neue Deutsche Welle.“ Doch wer jetzt die Retro-Schublade aufmacht, denkt zu kurz. Denn natürlich kann Grebe nicht ganz von den großen Bühnenmomenten und der liebgewonnenen Theatralik lassen. „Die Flugbegleiterin“ etwa ist eine kleine Geschichte mit großer Melodie, die als intime Ballade beginnt und zum Grande Finale mit Pauken und Posaunen für Erhabenheit sorgt. Und, nicht zu vergessen: „Die Rose“. Wer „Popmusik“ macht, braucht natürlich auch Liebeslieder, und dieses hier ist ein besonders gutes Beispiel dafür, wie man die Referenzmaschine namens Pop galant bedienen kann. Bette Midler sang das Lied einst in einer Janis Joplin nachempfundenen Filmrolle, Nana Mouskouri feierte mit der deutschen Version Erfolge. Grebe nimmt sich der Nummer nun aus männlicher Perspektive und mit imposanter Verstärkung an: Die ersten beiden Strophen singt der Männergesangsverein „Harmonie“ aus Lünen, der mit vielstimmigem Pathos eine Brücke schlägt von Hollywood ins Ruhrgebiet, vom exzessiven Rock’n’Roll-Schwindel zum traditionsreichen Bergarbeiter-Dasein. Pop lebt ja nicht zuletzt von seiner Geschichte, seinen Verbindungen und Querverweisen, und zu dieser großen Erzählung hat nun auch Rainald Grebe seinen Teil beigetragen. Von Theodor Storm zu Bismarck. Von absurden Eissorten zu Seitensprüngen mit Biomarkt-Kassiererinnen. Von Altrockern wie den Rolling Stones zu HipHop-Produzenten wie Kitschkrieg. Vom Calvinismus zum Tod: Die Welt, aus der Grebe seine Themen schöpft, ist reichhaltig und groß, aber verloren geht er darin nie. Und auch wenn die Form eine andere ist und er musikalisch mit „Popmusik“ neue Wege begeht, inhaltlich hat sich bei ihm kaum etwas verändert. Grebe bleibt unverkennbar Grebe: Ein Chronist mit Haltung, der sich gerade macht in einer Welt, die wahnsinnig unübersichtlich und unübersichtlich wahnsinnig ist. Die mal zum Lachen, mal zum Weinen, meist aber alles auf einmal ist. Und die ihm immer wieder Anlass zur Auseinandersetzung gibt – manchmal auch in letzter Minute. Denn eigentlich waren die „Popmusik“-Aufnahmen schon fertig, doch irgendwas fehlte ihm noch. Es war Sommer, es war heiß, es war Corona, und in Berlin versammelten sich geschätzte zwei Milliarden besorgt-bürgerliche Querdenker, um zu demonstrieren, was sie unter Aufklärung, Toleranz und Empathie verstehen. Also schrieb Grebe abends schnell noch einen Song. „Wissenschaft ist eine Meinung, die muss jeder sagen dürfen“, lautet die zentrale Botschaft, die den Spieß der Schwurbler einfach umdreht und mit seinen absurden Dada-Zeilen mehr Aufklärung und Erkenntnis zum Thema liefert als so mancher Leitartikler. Subversiv, relevant, aktuell, aber dennoch mit einer gewissen Unschärfe und Offenheit - so und nicht anders funktioniert Popmusik. Zumindest, wenn sie gut gemacht ist. Grebe selbst ist sich übrigens nicht sicher, ob er das wirklich ist: ein Popmusiker. Er sieht sich eher als Grenzgänger im Dreiländereck zwischen Pop, Kabarett und Chanson, der mal schauen will, wie es auf der anderen Seite ist. „Für mich ist das ein Abenteuer“, sagt er. Für sein Publikum, aber auch für sich selbst. Pop oder nicht? Letztendlich kann man sich solche Definitionsfragen schenken. Denn Rainald Grebe ist ja im Grunde schon längst ein Popstar – zumindest, wenn man in der Währung namens Erfolg rechnet. Denn seine Auftritte sind regelmäßig ausverkauft und ziehen immer mehr Zuschauer an. Schon 2011 lieferte er mit über dreihundert Beteiligten eine überbordende Show der Superlative in der Berliner Waldbühne ab, an die sich wohl alle 15.000 Zuschauer heute noch gut und gerne erinnern. Dieses Spektakel will Grebe anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages 2021 neu auflegen, und so kann man sicher sein, dass er alles daransetzen wird, am 31.Juli 2021 in der Waldbühne ein nicht minder großes Feuerwerk zu zünden. Ein Abend, der Bleibendes hinterlassen wird – nicht nur beim Publikum, sondern auch im brandenburgischen Örtchen Bugk. Denn dort wird Grebe 1.500 Bäume pflanzen und einen Kieferwald zu einem Mischwald umforsten. Berlin bekommt ein Konzert, und Brandenburg einen Wald, für dessen Pflanzung, Hege und Pflege ein Euro pro verkauftem Waldbühnen-Ticket verwendet wird. Das reicht zwar lange noch nicht für alle Kosten, aber Grebe ist guter Dinge, dass sich noch mehr Spender und freiwillige Helfer finden, die mit ihm zusammen im Herbst 2021 die Schaufel zur Hand nehmen und die Setzlinge unter die Erde bringen. Doch zunächst erscheint am 5. Februar 2021 „Popmusik“, ein Album, mit dem sich Rainald Grebe einen lang gehegten Wunsch erfüllen will: Eine Plattenkritik im „Rolling Stone“. Ob das klappt? Wer weiß. Eines aber ist sicher: Die Chancen dafür waren noch nie so gut wie mit diesem Album.
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