Levin Liam

Wer sein Gesicht verliert, beschädigt sein Image, macht sich angreifbar, büßt an Souveränität ein - so zumindest die volkstümliche Definition jener Redewendung. Bis vor Kurzem hat Levin Liam den Akt des Gesichtsverlusts selbst als eine Art der Niederlage verstanden. Als er sich schließlich allseitig vom Maskenball Popindustrie umzingelt sah, schoss Levin jedoch ein Gedanke durch den Kopf: Bemitleidenswert sind doch eigentlich jene, die krampfhaft darauf bedacht sind, ihr Gesicht zu wahren; die alles tun, um ihre Fassade nicht bröckeln zu lassen; die der Umwelt Zeit ihres Lebens etwas vorschauspielern. »Ich wollt’ mir mein Gesicht bewahr’n, mittlerweile will ich’s doch lieber verlier’n«, flüstersingt Levin auf seinem neuen, am 27. September 2024 erscheinenden Album - einem Album, das mit Ansage zelebriert, was anderen Alpträume bereitet: Die Selbstbloßstellung. »gesicht verlieren« lässt die Fassade seines Protagonisten aufbrechen und präsentiert, was sich hinter schützenden Mauern verbirgt - gnadenlos ehrlich, erschlagend introspektiv, ohne Netz oder doppelten Boden. Um zu verstehen, warum Levin Liam den Themenkomplex Gesichtsverlust ins Zentrum seiner selbsternannten »Repercussion« gerückt hat, hilft ein Blick auf die beiden zurückliegenden Kalenderjahre. Innerhalb dieses Zeitraum wurde Levin aus einem Hamburger Hinterhof in die relevantesten Playlisten des Landes, auf große Werbetafeln, in Festival-Backstages und opulente Hotels katapultiert. Der Lockenkopf hat seinen Geheimtipp-Status unlängst gegen eine Million monatlicher Hörer*innen auf Spotify eingetauscht, prominente Kolleg*innen wie Trettmann, JEREMIAS, oder Paula Hartmann gefeatured und riesige Bühnen bespielt. Infolge des 2022er Kollabo-Tapes »vergiss mich nicht zu schnell« mit Cato, zweier »LEVIN LIAM LEAKS«-Tapes und der »neue Ufer«-EP mit Miksu / Macloud, ist Levin Ende 2023 intensiv ins Projekt »gesicht verlieren« eingetaucht. Die Album-Arbeiten fielen in eine Phase der Reflexion, die spürbar auf die Platte abgefärbt hat: Levin hat nachgedacht - über sich selbst und den Auftrag seiner Kunst, den Reizüberfluss der Aufstiegsjahre, seine Rolle im synthetischen Gebilde Musikindustrie, die Vor- und Nachteile seines neuen Lebens.

 

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