Curse

„Jetzt hörst du wieder die Stimme“, rappt Curse gleich zu Beginn seines neuen Albums „Unzerstörbarer Sommer“. Der Querverweis auf Klangfarbe und Kolorit von Curse‘ wohl prägnantesten Trademarks kommt dabei nicht von ungefähr. Schon Guru von Gang Starr wusste seiner Zeit, dass die Stimme eines, wenn nicht das wichtigste Merkmal eines MC ist – und auch Curse hat mit ihr in den letzten 25 Jahren immer wieder aufs Neue seinen unverkennbaren Einfluss klargemacht. Allen voran mit der eindrucksvollen Discographie eines Vierteljahrhunderts, bestehend aus mittlerweile acht Soloalben, darunter „Feuerwasser“, „Von Innen nach Außen oder „Freiheit“ – die allesamt nicht nur gezeigt haben, dass Rap nicht nur Selbstbeweihräucherung, sondern auch die Auseinandersetzung mit sich heißen kann. Auch und mehr denn je auf „Unzerstörbarer Sommer“, dem neuen und neunten Album von Curse. Es ist das erste musikalische Lebenszeichen auf Albumlänge seit „Die Farbe von Wasser“ mit dem Curse 2018 auf Platz 2 der deutschen Charts einstieg. In den sechs seitdem vergangenen Jahren ist Curse alles anderen als untätig gewesen. Der 45-jährige hat nicht nur seinen Podcast „Meditation, Coaching & Life“, fortgeführt, war weiterhin als Coach tätig und stand als Speaker auf Bühnen, sondern stieg mit seinem zweiten Buch „199 Fragen an dich selbst“ erneut in die Bestsellerlisten ein. All das unterstreicht die Relevanz, die Curse immer noch hat. Auch als Rapper. Denn zwischen all dem ist immer noch genug Zeit für Musik geblieben. Für Curse ist das mittlerweile ohnehin alles eins, oder besser: Es bedingt sich, wirkt aufeinander, die eine Leidenschaft inspiriert die andere und schafft Neues. Ab 2020 entsteht aus Notizen und Skizzen schließlich etwas, das ein Album ergeben könnte. Das eingangs bereits erwähnte „Die Stimme“ gibt dabei den Ton vor. Einerseits musikalisch: die Songs auf „Unzerstörbarer Sommer“ sind durch und durch Rap, liegt ihnen doch ein Fundament aus Samples, Loops und Drum-Breaks zugrunde, gleichzeitig finden aber immer wieder Tweaks und Details ihren Weg in die Arrangements und machen aus den bloßen Beats lebendige Produktionen voller Soul und Wärme. Hierfür arbeitet Curse sowohl mit langjährigen Wegbegleitern als auch mit ganz frischen Einflüssen: Die Hitnapperz (Big Toni & Ricco) aus Curse Heimatstadt Minden prägten bereits das Vorgängeralbum maßgeblich mit ihrem Sound - und Big Toni und Curse kennen sich seit den späten 90ern. Das Kölner Producer-Duo OMG Whatabeat (Wombeats & J-JD) ergänzt den Mindener Boom-Bap-Sound mit Soul und Musikalität und der Beat-Künstler Samon Kawamura lässt es knarzen, knacken und schief klingen, dass es dem HipHop-Herz eine Freude ist. Der Pianist und Producer KALLA aus Heidelberg ist außerdem ebenso vertreten, wie die beiden Mindener Newcomer Shogoon und Tacho, die den Sound mit Frische und Aktualität abrunden. Andererseits ist der Einfluss aber auch inhaltlicher Natur. Die Doppeldeutigkeit des Album-Openers, der nicht nur in bester Throwback-Manier auf Curse‘ Karriere zurückblickt, sondern an die innere Stimme jedes einzelnen appelliert, unterstreicht das Themenspektrum auf „Unzerstörbarer Sommer“. Und das ist weit und einladend persönlich: Etwa dann, wenn Curse auf „Teil 1 - Overdrive“ von einem Leben auf der Überholspur mit Anfang 20 erzählt. 200 km/h Vollgas, bis die Tachonadel anschlägt. Durch die Kurve und haarscharf an der Leitplanke vorbei. Immer weiter, immer schneller. „Teil 2 – Slow Down“ liefert zu smoothem Sound klare Botschaften: Fahr mal runter, zweifle nicht an dir. Liebe kommt ganz von allein, genauso, wie man schon ein guter Mensch ist – und glücklich wird man nicht, man ist es schon. Was als Zwiegespräch beginnt, wird zu einer Nachricht an uns alle und zu einem Song, der einen in den Arm nimmt. Ganz fest. Der gut tut, einen beruhigt und vielleicht auch dazu bringt, alles ein bisschen langsamer anzugehen. So geht es einem mit vielen Songs auf „Unzerstörbarer Sommer“. Da ist zum Beispiel „Snapshots“, das zu sattem Boom-Bap-Sound und mit eindrücklichen Beschreibungen Erinnerungsmosaikstücke aus einem ganzen Leben aneinanderreiht, die so oder so ähnlich jedem von uns ab und an vor dem inneren Auge erscheinen. „Erinnern wer ich bin“ vertont den Versuch, zwischen dem ganzen Alltagsstress aus Emails und all den anderen Nebenschauplätzen bei sich zu bleiben – ein mantraartiger Reminder für jeden von uns, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. „AVCL“ lässt zu wunderschönem Doo-Wop-Sound die Liebe zu anderen und sich selbst hochleben, bis vor lauter Herzenswärme gar kein Platz mehr für Leiden ist, während „Feeling“ einen daran erinnert, dass es manchmal vielleicht besser ist, vielleicht einfach loszulassen, die Hände frei zu haben und zu fühlen. Denn dann entstehen die Dinge von ganz allein. Dass dabei manchmal egal ist, ob sie gut oder schlecht sind, unterstreicht „Alles wird sich lohnen“ mit Fayan. „Sonne“, die mittlerweile dritte Zusammenarbeit mit Patrice, der einen seiner wenigen deutschen Feature-Parts beisteuert, zeigt, dass es auch hierzulande einen viel zu lange ignorierten Fundus an Musikgeschichte gibt, die sich lohnt, gesamplet zu werden – und so entsteht aus einem Udo-Jürgens-Classic der späten Sechziger ein hoffnungsvolles Mantra für schattige Zeiten. „Zuhause“ baut eine Brücke über die Weser, die vom Damals ins Jetzt führt, treffen mit Curse, Italo Reno & Germany auf der einen sowie Shogoon auf der anderen Seite gleich mehrere Generationen aus Minden am Mic aufeinander und ergründen gemeinsam, was Zuhause eigentlich heißt und ob es vielleicht kein Ort ist, sondern da, wo wir uns finden. Und „Firmament“ ist das längst überfällige Gipfeltreffen von zwei Granden des Deutschrap, das vielleicht zum genau richtigen Zeitpunkt kommt. Blicken Curse und Moses Pelham nicht mehr mit jugendlichem Leichtsinn, sondern Erfahrung qua Selbsterkenntnis in den Spiegel. Auch auf dem Song „1994“, für den Curse episodenhaft in den Sommer seines Lebens zurückreist. Kopfnicken zu Wu-Tang und Masta Ace, im offenen Jeep durch die Nacht, die warme Luft in den Lungen und billigen Schnaps im Magen. Das erste Mal Verliebtsein, das erste Mal Action. Und doch ist „1994“ kein Throwback-Song, sondern vielmehr eine Haltung: Denn es geht nicht nur um die schönen Erinnerungen, sondern auch das Hier und Jetzt. Gut möglich, dass die Welt im Arsch ist und wir uns alle nach etwas Positivem sehnen. Aber im Zurückdenken wird auch klar, dass wir alle diesen unzerstörbaren Sommer auch heute noch in uns tragen. Das Album trägt seinen Titel aus gutem Grund. Einem Zitat des französischen Schriftstellers und Dichters Albert Camus entlehnt, sind die 17 Songs durchzogen von dieser Zuversicht, den Beobachtungen, die man macht und den Erkenntnissen, die man erhält, wenn man mit derartiger Gelassenheit auf sein Leben blickt. Gepaart mit Lyrics, Storytelling und soulful Beats mit ordentlich Wumms. Curse stand schon immer für die Kunst des MC-ing und wird diesem Ruf mit dem neuen Album wieder zu 100% gerecht.

 

 

 

 

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